11. zahnmedizinischer Einsatz in Rumänien – ein Bericht von Annette Kirchner-Schröder

Zahnmedizinische Hilfe in Luncani und Bădăcin 6.4. – 18.4.2014

Froh war ich! Froh, dass es endlich losging! Froh, dass mein Auto bis zum Bersten gefüllt war. Stühle, Stockbett, Matratzen, Rollator und die üblichen Kleider, Schuh-, Decken- und Geschirrspenden sowie Hygieneartikel waren in tagelanger logistischer Meisterleistung verstaut worden, um jeden Winkel des Busses auszunutzen. Froh, dass ich meinen Beifahrer Sandu auf der langen Fahrt neben mir hatte. Froh, dass es nur noch zwei Tage dauern würde, bis ich meine Freunde, Patienten und die Kinder von ICAR wieder sehen würde.

fünf Minuten vor der Abfahrt

In 10 Stunden Fahrt hatten wir unsere übliche Übernachtungsstation kurz vor Budapest erreicht. Am nächsten Tag wurden wir nach weiteren 8h im Auto in Luncani begeistert begrüßt und konnten uns an einem kühlen Bier erfreuen. Na ja, vielleicht waren es auch zwei oder drei, denn die Fahrt war sehr sonnig und warm gewesen.

So lange hatte ich den Bus gepackt. Dank vieler Hände war er in 15 Minuten geleert, und wieder konnte ich nur staunen, was in so einen Viano alles hineingeht.

Am nächsten Morgen bauten Sandu und ich die Praxis auf. Viel gibt es da nicht zu tun, denn das Zimmer wird von den Hausbewohnern bereits so vorbereitet (Behandlungsstuhl, Sterilisator, weiß gedeckte Tische, Materialwagen, Stühle, Licht, Stromzuleitung), dass wir nur noch die mobile Einheit anschließen und die Materialien auspacken müssen.

Zuerst sind wir zum Romaprojekt nach ICAR gefahren. In vergangenen Jahr ist dort viel passiert. Es wurde engagiert an den neuen Holzhäusern (zwei wurden bezugsfertig), an der Verbesserung der Wohneinheiten in den alten Steinhäuser und an Strom- und Wasserleitungen gearbeitet. Eine Sommerschule wurde eingerichtet, in der die Kinder ihre schulischen Lücken mit Hilfe von drei ehrenamtlichen Lehrern auffüllen können und in der, im laufenden Schuljahr, jeden Freitag und Samstag Nachhilfeunterricht erteilt wird. Die Noten fast aller Kinder haben sich dadurch verbessert und ihr Selbstbewusstsein ist gestiegen.

Auch der erste Arbeitstag gab Anlass zu viel Freude. Bei keinem der 12 Kinder und Jugendlichen, die ich an diesem Tag behandelte, musste ein bleibender Zahn entfernt werden.

Statt dessen wurden fast 40 Zähne versiegelt, bei der Hälfte der Patienten wurde Zahnstein entfernt und knapp 20, eher kleine Füllungen gelegt. Auch bei den Erwachsenen, die an diesem Tag kamen, waren keine „Katastrophen“ mehr zu beobachten. Füllungen und Extraktionen hielten sich die Waage und viele Patienten kamen mit dem Wunsch nach Zahnsteinentfernung, was auf ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein schließen lässt.

Ein junger Mann war besonders glücklich über meine Ankunft. Seit drei Tagen hatte er sehnsüchtig auf mich gewartet, da infolge eines Abszesses seine rechte Gesichtshälfte bereits komplett geschwollen war.

Insgesamt behandelte ich mit Sandus Hilfe vier Tage lang. Wir versorgten 84 Patienten, versiegelten 53 Zähne, extrahierten 43 Zähne, legten 79 Füllungen, entfernten 25x Zahnstein.

Wir halfen Patienten mit hypersensiblen Zahnhälsen, verbesserten Prothesen durch direkte Unterfütterung, verschiedene Zähne wurden endodontisch behandelt. Die ausgetauschte mobile Einheit machte uns diesmal viel Freude. Sie funktionierte tadellos. Ein besonders einprägsames Erlebnis hatte ich mit einem 15-jährigen, sehr hübschen Mädchen. Als sie den Mund öffnete, bot sich mir der Anblick eines im unteren Drittel querfrakturierten rechten Schneidezahnes. In einer gut einstündigen Behandlung wurde der Zahn wurzelbehandelt, mit einer Schraube versorgt und mit Komposit aufgebaut. Ihr strahlendes Lachen danach war Medizin für meinen schmerzendes Rücken!

Für das Wochenende hatte ich ein besonderes Highlight geplant. Ich wollte mit zwei Geschwisterkindern der Romasiedlung und Sandu einen Wochenendausflug unternehmen.

Uri (12 Jahre) und Roxana (13 Jahre) haben vor zwei Jahren ihre Mutter verloren. Der Vater sitzt im Gefängnis. Beide warteten schon seit Wochen aufgeregt auf unsere kleine Reise. Zuerst ging es nach Sighisoara, einer wunderschönen kleinen Stadt ca. 120km südöstlich von Luncani. Zum Glück hörte es bei unserer Ankunft auf zu regnen, denn Roxana hatte kaputte Stiefel an den Füßen. Später konnte ich ihr in einem Supermarkt neue Schuhe kaufen. Wir bestiegen den Turm der Altstadt, erklommen die steile schwarze Treppe zur Kirche und kehrten in ein Restaurant ein. Am Nachmittag fuhren wir nach Târgu Mures, wo ich ein Apartment gebucht hatte. Nach dem Einchecken machten wir uns auf den halbstündigen Fußmarsch in die Innenstadt. Die Kinder waren bei allem mit Begeisterung dabei. In einer Pizzeria beendeten wir den Abend. Ich spielte mit ihnen „Galgenraten“, natürlich auf Rumänisch. Wozu hat man denn ein Wörterbuch?! Im Hotel saßen wir bis in die Nacht bei „Mensch ärgere Dich nicht“. Endlich waren sie müde, denn wir Erwachsenen waren es schon längst. Am nächsten Morgen besuchten wir den weitläufigen Zoo der Stadt. Danach ging es wieder nach Luncani, wo alle Erlebnisse haargenau berichtet werden mussten.

Anderntags hieß es für Bădăcin zu packen. Da für die Behandlung der Bewohner von Bădăcin jede Hand gebraucht wird, beschloss ich, meinen Assistenten mitzunehmen. Neuland für ihn, aber um es vorwegzunehmen, er fand mit erstaunlicher Gelassenheit seinen Platz im Behandlungsteam. In Zalău holten wir meine Kollegin Anne vom Busbahnhof ab. Eine zweitägige Fahrt mit wenig Bewegungsspielraum und Schlaf lag hinter ihr. Das kalte Begrüßungsgetränk, mit dem wir sie überraschten, munterte sie wieder auf. In Bădăcin wurden wir von Nanne Wienands willkommen geheißen. Nanne war extra von Deutschland nach Bădăcin gefahren, um den Transport der Bewohner in die Zahnarztpraxis zu organisieren.

Unsere Arbeit wurde dankenswerterweise von unseren rumänischen Kollegen unterstützt. Am ersten Tag arbeiteten wir mit Alex und Sergiu zusammen. Der zweite Tag wurde uns durch die Mithilfe von Mariana und Petra erleichtert. Es ist schön zu sehen, dass es auch in Rumänien Menschen gibt, die ehrenamtlich tätig sind. Das baut auf und macht Mut!

Wir behandelten insgesamt 73 Patienten. Bei 35 Patienten entfernten wir, zum Teil massiven, Zahnstein. Fast alle Patienten leiden unter Gingivitis infolge mangelnder Mundhygiene.

Es wurden 38 Füllungen gelegt. Leider mussten 54 Zähne entfernt werden. Das zeigt aber auch, dass Unterstützung weiterhin notwendig ist. Der dortige Zahnarzt hat zwar einige Patienten mit Zahnersatz versorgt (gegen Bezahlung), übernimmt aber ansonsten wenig Verantwortung. Ebenso habe ich nicht das Gefühl, dass die (Zahn)-Gesundheit der Bewohner oberste Priorität bei der Heimleitung hat. Für den Herbst haben Alex und Mariana ihren erneuten Einsatz in Bădăcin versprochen.

Nach getaner Arbeit fuhren wir nach Luncani zurück. Sandu musste nach Hause gebracht und meine Materialien dort verstaut werden. Wir genossen den letzten Abend in Rumänien, indem wir mit den Kindern die halbe Nacht UNO und „Mensch ärgere Dich nicht“ spielten. Traurig wegen des Abschieds und unausgeschlafen verabschiedeten wir uns, um die Heimreise von 1600 Kilometern anzutreten.

kurz vor dem Abschied

Mein Dank gilt: -meinen Kolleginnen und Kollegen: Anne, Mariana, Alex, Sergiu und Petra – Es tut gut, nicht allein zu sein! – – – meinem Freund und Assistenten Sandu Pop – ohne seine Ruhe und sein technisches Verständnis wäre manches schwerer! – – – Nanne Wienands – Danke für die große Anzahl an Patienten, die Du uns gebracht hast und für die guten Gespräche! – – – meinen Mitarbeiterinnen zu Hause für das Einschweißen und Sortieren der Instrumente und die guten Gedanken, die mich begleiteten – – – meinem Dentallabor Ewald, das mir erneut kleine Geschenke für die Kinder sponserte – – – meinen Patienten, Freunden und Nachbarn, die mir Hilfsgüter und Medikamente spendeten – – – dem DRK Otterbach, bei dem ich die Hilfsgüter einlagern darf – – – der Firma Voco, die mich mit Unterfütterungsmaterial versorgte – – – der Kirchengemeinde Rehau für die Übernahme der Fahrtkosten – – – Mulțumesc frumos!

Annette Kirchner-Schröder