Reisebericht Familie Röder September 2021

12 Tage Rumänien – unfassbar schwer, diese in einen kurzen Reisebericht zu packen.

Es ist der 1. September 2021 – 15:00 Uhr. Wir rollen nach langer Fahrt mit unserem Wohnmobil auf dem Schotterweg zum Vereinshaus in Luncani. An Bord sind Johanna, Thomas sowie die beiden Mädels Mathilda und Paula. Noch unsicher, was uns dort eigentlich erwartet, steigen wir aus und werden sofort von Sandu in Empfang genommen. Im Vereinshaus werden wir ebenso begrüßt. Alle sitzen gerade beim Essen. Es gibt Gulasch, wir essen mit. Und dann sind wir schon mitten drin im Geschehen: Wir werden informiert, spielen mit den Kindern, die aktuell im Vereinshaus wohnen, packen die Spenden aus dem Anhänger aus, welche am nächsten Tag umsortiert werden sollen, planen die Aktionen für die nächsten Tage. Und eigentlich hätte das zunächst eine Rundreise mit unserem Kastenwagen durch Rumänien werden sollen. Doch irgendwie blieben wir bei unseren Vorbereitungen an den Schattenseiten Rumäniens hängen (Berichte über Heimkinder, Armut, soziale Ausgrenzung, …). Daraus entstand der Wunsch, ein Hilfsprojekt anzufahren und dort einige Kleinigkeiten wie beispielsweise Kinderkleidung vorbeizubringen. So stießen wir auf die Internetseite „hilfsprojekt-rumaenien.de“.
Wir versuchten also, mit den Verantwortlichen dieser Organisation Kontakt aufzunehmen und schilderten in einer ersten Nachricht unser Vorhaben. Postwendend bekamen wir eine Nachricht von Annette, die unsere Fragen beantwortete und sagte, dass wir auch gerne auf eine Tasse Kaffee bleiben könnten beim Abgeben der Spenden. In den nächsten Tagen und nach ausführlichen Gesprächen mit Annette kam der Entschluss für einen längeren Aufenthalt vor Ort am Vereinsheim in Luncani (Bezirk Cluj Napoca), um insbesondere auch mit den Kindern von I.C.A.R., einer der Siedlungen, die vom Projekt betreut werden, in Kontakt zu kommen. So sammelten wir in unserem Verwandten- und Freundeskreis Kleider, Fahrräder, Werkzeug, Spielzeug, und es kamen auch einige Geldspenden hinzu. Die Rückmeldung war sogar so positiv, dass wir nach kurzer Zeit entscheiden mussten, einen Anhänger mitzunehmen – wegen Überladung und Platzmangel. Wir starteten nun mit vollem Wohnmobil und ebenso vollem Anhänger und kamen nach kurzem Zwischenstopp in Ungarn nach Rumänien.

Dieser Bericht soll Euch mitnehmen auf unsere Reise nach Luncani, bei der ihr Euch einen kleinen Überblick über unsere Erlebnisse dort verschaffen könnt.

Während unseres Aufenthaltes bekommen wir einen Einblick in die Lebenswelt der Roma in den beiden Projektsiedlungen. Insbesondere nach I.C.A.R. fahren wir öfter. Unvergesslich bleibt wohl der Moment, als wir das erste Mal in I.C.A.R. aus unserem Kastenwagen aussteigen – die Gerüche, die vielen Menschen vor ihren Häusern, die Offenheit der Kinder, die sofort auf uns zukommen, die vielen Tiere und der viele Müll, überall. Mathilda teilt dort einen Teil unserer mitgebrachten Spenden von Haarschmuck, über Kuscheltiere, Spielsachen, … aus und kommt sofort mit den Kindern dort in Kontakt. Fehlende Sprachkenntnisse? Für Kinder offensichtlich unwichtig. Ein späterer Zeitpunkt an diesem Tag: Thomas wird von Sandu in der Siedlung herumgeführt, Johanna ist damit beschäftigt, Paula zu beaufsichtigen, die immerzu stolpert und hinfällt. Ja, eigentlich normal für ein Kleinkind, aber doch auch irgendwie schwierig, wenn überall am Boden Scherben liegen. Johanna kommt der Gedanke, dass hier wohl nicht der netteste Ort für Kinder ist. … und Mathilda war zunächst mit den Kindern beschäftigt, die umher strolchten und ihre neuen Sachen bestaunten und jetzt? Sie läuft durch die Siedlung und sammelt tatsächlich den Müll, ihre Schätze.

Am nächsten Tag kommen wir wieder. In I.C.A.R. zu sein, fühlt sich schon nicht mehr sonderlich
(be)fremd(lich) an. Wir bringen die Kleiderspenden mit. Gerade die Familien mit Kindern können
diese sehr gut gebrauchen. Nacheinander können sie Kleider aussuchen, das Ganze wird durch
Sandus „Aufsicht“ begleitet. Für die Kinder teilen wir Seifenblasen und Malkreide aus, pusten
Luftballons auf, bemalen diese mit Gesichtern. Das reicht, um die Kinder glücklich zu machen –
jedenfalls für diesen Moment.

Bei einem weiteren Besuch in I.C.A.R. bringen wir einen riesigen Topf selbstgebackener Waffeln
für die Kinder mit. Zuvor noch ein wildes Durcheinander, ist es plötzlich sehr ruhig beim Essen.
Wer Kinder hat, versteht von selbst. Wir malen Mandalas mit den Mädels aus. Langweilig?
Alltäglich? Hier eher ein Event.
Heute fahren wir auch schon ein letztes Mal nach I.C.A.R., jedenfalls für diesen Aufenthalt. Wir
haben Popcorn an Bord für die Kinder. Von einigen, insbesondere von den Jungs, die die letzten
Tage mit uns im Vereinshaus gelebt haben, für die nun die Schule ab kommender Woche startet, müssen wir uns verabschieden. Gerne hätten wir noch viel mehr Aktivitäten für die Kinder hier angeboten.

Neben der Romasiedlung in I.C.A.R besuchen wir Valentins Familie in der Romasiedlung in Luna.
Hier herrscht am Samstagnachmittag ein reges Treiben auf der Straße. Viele Familien mit Kindern und laute, volkstümliche Musik, eine ganz besondere Stimmung. Bei Valentins Familie herrscht große Freude über die Fahrräder, die wir für ihn und die beiden Kinder mitgebracht haben. Ebenso riesig ist deren Herzlichkeit und Gastfreundschaft.
Natürlich bleibt auch ein Besuch bei Momo in Luncani nicht aus, die wir bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Vereinshaus kennen lernen durften.
Besonders freuen wir uns darüber, mit den vier Brüdern, die die Zeit mit uns gemeinsam im Vereinshaus verbringen, einen Ausflug in die nahegelegene Stadt Câmpia Turzii unternehmen zu können. Auch Ioan Dobosch können wir mit einem Ausflug überraschen, den er begeistert „Exkursion“ nennt.

Wir bekommen während unseres Aufenthaltes so viele wertvolle Hintergrundinformationen, insbesondere von Gerhard und Sandu, mit denen wir natürlich, aufgrund ihrer Deutschkenntnisse, am einfachsten kommunizieren können. Dabei erfahren wir beeindruckende, nachdenklich stimmende, traurige, aber auch bewegende, Hoffnung stiftende Aspekte der Arbeit in Luncani und Umgebung. Es ist interessant und bereichernd zugleich, die Hintergründe zu den Menschen und Situationen zu erfahren, einfach, um besser verstehen zu können. Während unseres Aufenthaltes lesen wir nochmals die Einzelschicksale und Berichte auf der Internetseite des Projekts, und es ist spannend. Denn die Geschichten sind nicht mehr nur Geschichten, sondern jetzt „kennen“ wir die Menschen dazu.

Neben all den Missständen gehen uns als Familie mit kleinen Kindern insbesondere die Lebensumstände der Kinder hier nahe. Wie die meisten Kinder beispielsweise in I.C.A.R aufwachsen, entspricht unseren Vorstellungen von dem, wie wir uns wünschen, unsere Kinder aufwachsen zu sehen, in keinster Weise. Für uns erweckt sich der Anschein, dass die Eltern hier in vielen wichtigen Bereichen keine Vorbildfunktion für ihre Kinder einnehmen können. Wir erleben so zum ersten Mal bewusst, welche Bedeutung von Bildung ausgeht, wo man hierzulande einen zu hohen Bildungsdruck kritisieren könnte. Zum einen sind diese Verhältnisse für uns erschreckend, ohne diese zu sehr bewerten zu wollen, zum anderen geben sie definitiv Grund, unsere Lebensumstände zu hinterfragen.
Während wir hier in Rumänien sind, leben unter anderem die vier Brüder mit uns im Vereinsheim (siehe oben). In I.C.A.R. leben diese in einem einzigen Zimmer mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter.
Nahezu lächerlich erscheint hier die Vorstellung, dass zuhause in Deutschland jedes Kind ein eigenes Kinderzimmer bräuchte. Zuhause gibt es Spielzeug im Überfluß, in I.C.A.R. sticht uns in wenigen Wohnungen höchstens ein Spielzeug entgegen. Draußen hingegen finden wir viele Spielzeugteile, defekt oder achtlos liegen gelassen.
Was uns hier ebenso auffällt – wir sehen hier keine Kinder, die nur mit sich und ihrem Spiel beschäftigt sind. Liegt es an der Momentaufnahme, an fehlendem Spielmaterial oder vielmehr daran, dass sie niemals durch kindgerechte Spielideen angeleitet wurden?

So wurden die mitgebrachten Spendengelder vor Ort eingesetzt:
– Baumaterialien
– Arztbesuche, Medikamente
– Schuldokumente, Büchertaschen, Schulmaterialien, Busfahrkarte für einen Schüler
– Sprit für den Vereinsbus
– Lebensmittel
Danke an dieser Stelle an alle, die uns im Vorfeld mit Sach- und Geldspenden als auch mit dem Anhänger usw. geholfen haben. Aus unserem geplanten Kurzaufenthalt wurden schnell 12 Tage, und wir gewöhnten uns schnell an das Miteinander vor Ort. Wir genossen die gemeinsamen Essenszeiten. Durch die Ferienzeit waren immer einige der vier Brüder im Vereinshaus. Die beiden kleinen (8, 10) verbrachten oft die Zeit mit uns am Wohnmobil, beim Spielen, … Eine herrliche Zeit. Es fing schon an, sich alltäglich anzufühlen… doch dann mussten wir schon wieder in die Heimat aufbrechen. So ging es nach 12 Tagen in Luncani, nach einem Abschiedsfest mit Karaoke und typischem Kesselgulasch, über Ungarn wieder zurück nach Deutschland.
Was bleibt?
-eine Erinnerung an 12 interessante, nachdenklich stimmende, eindrucksvolle, bereichernde und prägende Tage.
-eine große Bewunderung für das, was die Truppe rund um Gerhard und Sandu in Luncani auf die Beine stellt und was sie dort über Jahre hinweg bereits verbessert haben.
– ein Nachdenken über die krassen Gegensätze zwischen unserem Lebensstand in Deutschland und dem in Rumänien.
– der Wunsch wieder zu kommen, wahrscheinlich und hoffentlich mit Sprachkenntnissen im Gepäck.

Ein herzliches Dankeschön geht an all die Menschen, die uns während unseres Rumänienaufenthalts begleiteten, uns mit Hintergrundwissen fütterten, ihre Geschichten erzählten, uns mit so viel Offenheit empfingen, Einblicke in ihren Alltag gaben, ihre Zeit mit uns verbrachten,

Wir durften so viele herzliche Menschen kennenlernen.
Wir schließen mit den Worten von Annette, mit denen sie einst ihren guten Freund Thomas zu
überzeugen versuchte, sie nach Rumänien zu begleiten: „Ich kann versuchen zu beschreiben, was da unten läuft, aber begreifen wirst Du es erst, wenn du es mit eigenen Augen gesehen hast.“
Auf bald! – Johanna, Thomas, Mathilda und Paula